Auf „Approaching Normal“, dem neuen Studioalbum von Blue October, führt Sänger und Songwriter Justin Furstenfeld seine Band souverän auf klangliches Neuland. Zudem war Steve Lillywhite, seit geraumer Zeit Stammproduzent von U2 und fünffacher Grammy-Gewinner, dieses Mal mit der Band aus Texas im Studio und hat ein Album aufgenommen, das alles Vorherige in den Schatten stellt und vollkommen anders klingt als das, was man vielleicht von Blue October erwarten würde.
Laut eigener Aussage ist Lillywhite zunächst die Stimme aufgefallen: „Mir geht es Anfangs immer um die Stimme, weil sich meine Meinung über den Gesang einer Band niemals ändert. Es gibt Sänger und es gibt Expressionisten, und Justin ist beides zugleich“, sagt Steve, der gleich im Anschluss hinzufügt, dass das Können der Band jedoch nicht weniger wichtig ist: „Die Musik von Blue October berührt die Menschen auf eine Art und Weise, wie es nur die ganz großen Bands vermögen. Es gibt da diese Verbundenheit zwischen der Band und den Zuhörern, eine Art Übereinkunft, die auf Leidenschaft und Vertrauen basiert.“
„Ich habe schon immer davon geträumt, einmal mit Steve zu arbeiten; und ich habe unglaublich viel von ihm lernen können – dass weniger zum Beispiel tatsächlich mehr sein kann“, berichtet Justin. „Neben ihm kam ich mir wie ein Maler vor, der keine davon Ahnung hat, wie man eine Leinwand füllt. Und natürlich war es schon ein vollkommen neues Gefühl, jemandem seine Ideen anzuvertrauen, aber immerhin war es Steve Lillywhite, und zu ihm hatte ich natürlich vollstes Vertrauen.“
„Approaching Normal“ ist der Nachfolger von „Foiled“, dem Platinalbum, mit dem Blue October im Jahr 2006 der endgültige Durchbruch gelang. Schon ihre erste Singleauskopplung „Hate Me“, ein Stück, das wie eine Anleitung funktioniert, um nach einer Krise neue Hoffnung zu gewinnen, entwickelte sich in den Staaten zu der Rock-Hymne des Jahres: „Hate Me“ war ganze 16 Wochen in den Top-10 zu finden, fünf Wochen lang stand die Single sogar auf Platz #2. „Into The Ocean“, die zweite Singleauskopplung, sprach daraufhin ein noch breiteres Publikum an und sorgte letztlich dafür, dass sich ihr letztes Album allein in Nordamerika über eine Million Mal verkaufte.
Allerdings sorgt so eine Platinauszeichnung natürlich auch für hohe Erwartungshaltungen und jede Menge Druck, und irgendwann hatte auch Songwriter Justin damit zu kämpfen. Doch Lillywhite stand ihm zur Seite und spornte ihn dazu an, noch mehr an seinem musikalischen Können zu feilen: „Was das Schreiben betrifft, hat er mich immer wieder angetrieben und motiviert. Ich hatte z.B. einen Song geschrieben, und Steve sagte dann so Sachen wie: ‘Der eine Teil ist einfach nur langweilig.’ Das hatte mir noch nie zuvor einer gesagt. Also riet mir Steve, mich noch einmal hinzusetzen und das Stück zu überarbeiten, und auch das hatte ich noch nie zuvor getan. So hab ich schließlich Melodien und Texte überarbeitet, die vorher vollkommen zusammenhangslos klangen, und jetzt klingen sie einfach fantastisch. Er hat mir definitiv dabei geholfen, das Beste aus mir herauszuholen. Diese Zusammenarbeit hat mich so sehr inspiriert, dass ich viel mehr geleistet habe, als es ohne seine Hilfestellung drin gewesen wäre.“
„Approaching Normal“ funktioniert insgesamt wie eine Reise, die mit dem Song „Weight Of The World“ beginnt, der als Spoken-Word-Gedicht schon auf ihrer grandiosen Live-CD und -DVD „Argue With A Tree“ zu hören war. In der neuen Albumversion, jetzt vollständig instrumentiert und durchorchestriert, berichtet Justin von früheren Erlebnissen und jugendlicher Zerstörungswut: „I blackout in the room again, a busted lip and broken skin. I wake up in the bathroom and dare not bother asking why the mirror’s cracked and all I see are shards of glass inside of me. There’s voices there to dare me, my father’s here to scare me“, singt er und verarbeitet in einem Atemzug Exzesse, Schmerzen, Gedächtnislücken und das Verhältnis zu seinem Vater.
„Das ‘Foiled’-Album handelte von all dem Mist, den ich erstmal hinter mir lassen musste“, berichtet der Sänger weiterhin. „Ich habe es satt, andauernd Opfer zu sein. Ich will ein starkes, selbstbewusstes Individuum sein“ – das ist die Kernaussage von „Say It“, dem zweiten Stück der neuen LP, einem Song über Selbstermächtigung und ein gestärktes Selbstbewusstsein. Ein Gefühl übrigens, dem man auf „Approaching Normal“ andauernd begegnet, zum Beispiel in Songs wie „Blue Skies“ und „Should Be Loved“, allerdings erst nachdem sich das Blatt wendet und die Platte mit einem Mal überaus wütend und fast schon rachsüchtig klingt, dank der ersten Singleauskopplung „Dirt Room“ nämlich. Während die Band in diesem Fall unfassbar aggressiv losrockt und alles gibt, präsentiert Sänger Justin einen Text, in dem er klarstellt, dass man sich nicht ausnutzen lassen darf, seine Familie beschützen und für das eintreten muss, was einem am Herzen liegt.
Doch ist „Dirt Room“ noch mehr als das: Es ist zugleich der Moment auf dem neuen Album, an dem Blue October ihren Zuhörern endgültig zeigen, wie druckvoll und hart sie als Band klingen können. Jeremy Furstenfeld (Schlagzeug) und Matt Noveskey (Bass) geben den unnachgiebig-metallischen Takt vor, während C.B. Hudson III die Gitarrenspuren hinzufügt, mit denen das Stück schließlich sogar im Metal/Garage/Punk-Sektor landet, und dann ist da natürlich noch Justin, der den bildhaften Text in diesem Fall eher ins Mikrofon schreit. Richtig krass wird’s, wenn Multiinstrumentalist Ryan Delahoussaye noch ein Geigen-Solo beisteuert, was den Song endgültig aufs nächste Level hievt. Auch sonst gelingt es Justin & Co. von der ersten bis zur letzten Minute mit diversen Highlights zu überzeugen – ganz gleich, auf welchem klanglichen Terrain sie sich gerade bewegen: sanft, himmlisch, hitzig, ausgelassen, dramatisch, was auch immer. Die Band hat für jede Stimmung etwas im Reisegepäck.
Das Kernstück des Albums ist „Kangaroo Cry/Picking Up the Pieces“: Eigentlich sind es zwei Songs, die miteinander verknüpft sind, um zunächst von einem Soldaten zu berichten, der sich in einer herzzerreißenden Szene am Vorabend seines Kampfeinsatzes von seiner Freundin verabschiedet, um schließlich im zweiten Teil die ganzen Fragen zu beleuchten, die bei seiner Rückkehr in eine zerrüttete Beziehung und ein kaputtes Leben aufkommen.
„My Never“ ist mit Sicherheit derjenige Song, auf den die Fans am längsten gewartet haben, denn ihn hatte Justin schon letzten Sommer im Rahmen seiner „Breaking Dawn Concert“-Tour gespielt, die er zusammen mit Stephenie Meyer absolvierte. Die Autorin der „Twilight“-Saga (deutscher Titel: „Bis(s)“-Saga), ein absoluter Fan von Blue October, hatte Justin überraschend zu ihrer Lesereise anlässlich der Veröffentlichung des vierten und letzten Teils der wahnsinnig erfolgreichen Jugendbuchreihe eingeladen, um sie dabei zu unterstützen, das neue Buch zu präsentieren.
Im Rahmen der „Breaking Dawn“-Auftritte spielte Justin Akustikversionen seiner Songs, und Stephenie berichtete davon, wie die Musik von Blue October sie beim Schreiben inspirierte: „Als Autorin bin ich dauernd auf der Suche nach der richtigen Musik, die bei mir genau die Gefühle weckt, die ich gerade in einer Geschichte behandle. Es gibt zwar haufenweise Musiker, die mich mit ihren Songs in eine Zeit zurückversetzen können, als ich vielleicht früher einmal traurig oder wütend oder verliebt war; aber einen Song, der diese Gefühle tatsächlich bei mir auslösen kann, im Hier und Jetzt, anstatt mich nur an früher zu erinnern, den findet man so gut wie nie. Die Musik von Blue October schafft es jedoch, diese Gefühle bei mir auszulösen. Bei ihnen hört man nicht einfach nur, was die Aussage eines Songs ist. Stattdessen bleibt einem nichts anderes übrig, also dieses Gefühl so zu empfinden, als würde man es am eigenen Leib erfahren.“
„Ich war vollkommen aus dem Häuschen, als ich von ihrer Einladung hörte“, berichtet Justin über die gemeinsame Tour. „Mich haben dabei nicht nur ihre Geschichten, sondern auch ihre Fans motiviert. Denn an ihnen habe ich gesehen, dass man kein gebrochener Mensch sein muss, um ein Fan von Blue October zu sein.“
„Mit Justin zu arbeiten war eine vollkommen neue und einzigartige Erfahrung für mich“, sagt Meyer weiterhin. „Zunächst hatte ich fast schon etwas Angst, mit einem Menschen die Bühne zu teilen, dessen Werk ich so sehr bewundere, aber sobald wir uns das erste Mal getroffen hatten, lief alles so wahnsinnig locker. Obwohl wir sehr unterschiedlich sind, verstanden wir uns auf Anhieb wie zwei Seelenverwandte. Meine Bücher zu seiner Musik zu präsentieren fühlte sich von Anfang an richtig an, wo die Lieder doch mein Schreiben so stark beeinflusst haben. Darum bin ich mir schon jetzt sicher, dass diese Abende, an denen ich auf der Bühne stand und Justin zuhörte, zu den absoluten Höhepunkten meines Lebens gehören. Das Beste daran war jedoch, dass ich in Justin nach der Tour einen neuen Freund gefunden hatte – du bist der Hammer, Justin!“
Auf der Reise namens „Approaching Normal“ gibt es auch hier und da ein paar Songs, die vollkommen anders klingen als das, was man von Blue October kennt. Das philosophisch angehauchte und durch und durch positive „Jump Rope“ zum Beispiel, oder auch „Blue Does“, ein Schlaflied, sind einem sehr jungen Menschen gewidmet: Justins kleiner Tochter nämlich. „Ich will keine traurigen Songs mehr schreiben. Ich bin ein paar Jahre älter und inzwischen Vater, wodurch ich heute viel mehr von der Schönheit und den Geheimnissen des Lebens mitbekomme“, sagt er. „Ich will meinen Fans zeigen, dass es durchaus in Ordnung ist, einfach mal glücklich und zufrieden zu sein.“
Und dann, genau in dem Moment, wenn alles nach dem bequemen, idyllischen Leben in der Vorstadt klingt, endet „Approaching Normal“ mit einem Donnerschlag namens „The End“. Dieses Stück, in dem die Geschichte eines labilen Mannes erzählt wird, der von Eifersucht zerfressen wird, dürfte locker zu den beunruhigendsten Songs gehören, die jemals aufgenommen wurden. Der Song ist genau genommen sogar so hart, dass er auf der „Clean-Version“ des Albums gar nicht erst vertreten ist. „Auf dem Album sind ein paar verrückte Geschichten zu finden, und dieses Stück ist durch und durch theatralisch. Es ist wohl darum entstanden, weil mich schon immer interessiert hat, wie weit einige Leute glauben gehen zu können, und was sie letztendlich dazu bewegt, ihre eigenen Handlungen trotz allem noch als ‘okay’ und akzeptabel einzustufen.“
„Aber was zur Hölle ist schon normal?“, fragt Justin abschließend. „Das Album spielt mit dem Gedanken, dass unser Verständnis von Normalität konstant gefährdet ist – sei es durch ein Glücksgefühl, Trauer oder – Gott bewahre – durch Wahnsinn. Der Name Blue October steht für eine Stimmung. Ganz egal, ob man nun auf die Texte achtet oder nicht, gibt die Musik einen Ton und eine Stimmung vor, und was die Texte betrifft: Nun, entweder du liebst sie oder du hasst sie.“
„Ich glaube, dass wir mit diesem Album ein deutliches künstlerisches Statement geschaffen haben“, fügt Lillywhite hinzu. „Es ist eine Reise, ein Trip, aber zugleich hat es alles, was ein Album braucht, um erfolgreich zu sein. Ich liebe diese Platte einfach.“
Blue October – „Approaching Normal“
Produzent: Steve Lillywhite – Toningenieur: C.J. Eiriksson
Tracklisting:
01. „Weight of the World“
02. „Say It“
03. „Dirt Room“
04. „Been Down“
05. „My Never“
06. “Should Be Loved”
07. „Kangaroo Cry
08. “Picking Up Pieces“
09. „Jump Rope“
10. „Blue Skies“
11. „Blue Does“
12. Bonus Track: „The End“
Blue October sind:
Justin Furstenfeld – Gesang, Gitarre
Jeremy Furstenfeld – Schlagzeug
C.B. Hudson III – Gitarre
Ryan Delahoussaye – Geige, Mandoline, Keyboard
Matt Noveskey – Bass
Mehr Infos unter: www.myspace.com/blueoctober | www.BlueOctober.com