Der Gitarrist Lionel Loueke stammt ursprünglich aus dem kleinen westafrikanischen Staat Benin und ist in den letzten Jahren kometenhaft zu einem international bewunderten Jazzmusiker aufgestiegen.
In den letzten beiden Jahren, 2008 und 2009, wurde er in den Kritikerpolls des Jazzmagazins Down Beat jeweils zum ultimativen Aufsteiger unter den Jazzgitarristen gewählt.
Sein nunmehr zweites Album für Blue Note, Mwaliko, das Folgewerk seines 2007 erschienenen, hochgelobten Labeldebüts „Karibu“, zeichnet sich durch ebenso innovative wie intime Duettaufnahmen mit Angelique Kidjo, Esperanza Spalding, Richard Bona und Marcus Gilmore aus. Zudem enthält es drei neue Tracks mit seinen langjährigen Trio-Partnern Massimo Biolcati (Bass) und Ferenc Nemeth (Drums).
Von seinem Mentor Herbie Hancock als „musikalischer Maler“ gelobt, zeichnet sich Loueke durch ein hervorragendes Harmonieverständnis, erlesene Melodien und fundierte Kenntnisse der afrikanischen Musik aus, während seine sich über Konventionen hinwegsetzende Gitarrentechnik einen warmen und assoziationsreichen Klang erzeugt. JazzTimes lobte Louekes Spiel als „clever in der Form und geschickt in der Ausführung. Seine vertraut klingende Melodik leitet sich ebenso von traditioneller afrikanischer Musik ab wie von seinem lebenslangen, intensiven Studium von Wahlverwandten wie Jim Hall und George Benson; seine Rhythmuswechsel sind schnell und stecken voller Überraschungen.“
„Karibu“, eingespielt mit seinem Trio und Herbie Hancock und Wayne Shorter als special guests, erntete reihum großes Lob bei den Kritikern. TIME bezeichnete das Album als „ein ausgelassenes Fest voller Freudensprünge, gespickt mit afrikanischem und brasilianischem Flair, wobei Loueke mit Scatgesang, Schnalzlauten und Gitarren-Percussion einen abgefahrenen Jazz erzeugt“. Die New York Times schwärmte von Loueke als „aufsehenerregend neue Stimme (…) von fesselnder Präsenz. (…) – einer der bemerkenswertesten Jazzkünstler seit geraumer Zeit.“
Neben seinen Aufnahmen als Leader sowie mit seinem Projekt-Trio Gilfema hat Loueke an einigen herausragenden Werken mitgewirkt, wie Terence Blanchards Grammy-nominiertem Album „Flow“ (2005) und Hancocks mit einem Grammy ausgezeichnetem „River: The Joni Letters“ (2008). Er tourte mit Musikern von Hancocks Band durch die ganze Welt und unterstützte aufstrebende Künstler bei ihren Aufnahmen, darunter der Bassist Avishai Cohen, die Schlagzeuger Francisco Mela und Kendrick Scott sowie die Sängerin Gretchen Parlato. All diese Erfahrungen haben auch Louekes vorbildliche Arbeit als Leader geprägt.
„Mwaliko“ kommt aus dem Suaheli und bedeutet „Einladung“, was Loueke näher erläutert. „Man kann den Titel auf zweierlei Weise betrachten: einerseits als Einladung an meine Freunde und Musikerkollegen, diese Aufnahmen als Duo zu machen, andererseits als Einladung an alle Hörer, die Musik einfach zu genießen. Ich wollte aber nicht nur Aufnahmen mit verschiedenen Leuten im Duett machen, sondern auch auf den Klang meines Trios zurückgreifen, weil es das eigentliche Zentrum meiner Musik bildet.“ „Mwaliko“ wird aber auch getragen von Louekes inspiriertem Mix aus akustischen und elektrischen Klängen: Stimmen mit Schichten harmonischer Effekte, Gitarren mit Nylonsaiten und wunderbaren, an Orgelsounds erinnernden Tremolo-Effekten sowie einer neuen maßgeschneiderten Rolf-Spuller-Gitarre, die auch ganz tiefe Basstöne erzeugen kann, was den recht spärlichen Duoaufnahmen raumgreifende Fülle verleiht.
Sein Gastspiel auf Angelique Kidjos Album „Djin Djin“ (2007) erwidert die ebenfalls aus Benin stammende Sängerin nun mit zwei afrikanischen Songs, die beiden Musikern viel bedeuten. „Wir kommen beide aus derselben Gegend und kennen uns schon unglaublich lang“, sagt Loueke über Kidjo. „Sie hat ein großartiges Rhythmusgefühl und eine unglaubliche Stimme, die so natürlich klingt, dass jegliche Overdubs überflüssig sind. Wir sind beide mit ‘Amio’ aufgewachsen, einem häufig gehörten afrikanischen Standard aus Kamerun. Und ‘Vi Ma Yon’ ist ein traditioneller Song aus Benin, dessen Ursprung unbekannt ist. Der Song handelt davon, wie wichtig es ist, Kinder zu haben. Wenn man viele Kinder hat, sei man reich, heißt es da – ein Umstand, dem ich heute nicht mehr beipflichten würde!“
Ähnlich wie Loueke hat auch der aus Kamerun stammende Richard Bona die Jazzwelt im Sturm erobert und mit seinem Bassspiel und Gesang für Aufsehen gesorgt. „Ich kenne Richard nun schon eine ganze Weile“, so Loueke, „und er ist definitiv einer der besten Musiker des Kontinents. Die Zusammenarbeit war prima, denn wir haben schon ein paar Mal zusammen live gespielt und diese Gigs waren echt gut. Genau dieses Gefühl wollte ich wieder heraufbeschwören.“ Bonas engelhaft trällernde Stimme erkennt man sofort und „Wishes” hat Loueke speziell für seinen Freund komponiert. „‘Wishes’ hat ein klassisches Element”, so Loueke. „Klassische Musik hat mich sehr beeinflusst und das zeigt sich besonders hier, aber natürlich bin ich kein Klassikmusiker, sodass mir Richards Stimme hier besonders wichtig war. Und wie er hier Fretless Bass spielt, das liebe ich einfach.“ Loueke über „Hide Life“, das zweite Duett mit Bona und Finale des Albums: „Dieser Song sagt, dass es manchmal besser ist, mit einem Lächeln zu kämpfen. Ein unbeschwerter Song. Manchmal muss man sich verstecken, um glücklich zu sein.“
Am Bass und Gesang glänzt auch Esperanza Spalding, die mit Loueke ebenfalls zwei Stücke aufnahm. „Mit ihr habe ich auch schon Konzerte gegeben, aber noch nie als Duo“, so Loueke. „Sie war mir wichtig, weil sie eine so starke Persönlichkeit hat und eine der wirklich neuen Stimmen unserer Zeit ist.“ Spalding prägt Louekes Komposition „Twins“, die bereits in einer orchestrierten Fassung auf dem Album „Gilfema + 2“ zu finden war. Das warme Klarinettenspiel der früheren Version ersetzen Loueke und Spalding durch einen akzentuierten, gleichwohl farbenprächtigen, wenn nicht sogar spirituellen Gesang. „Wir singen und spielen gleichzeitig. Und auch bei Esperanza erübrigen sich jegliche Overdubs. Sie singt in einer Tonlage, die sich vom Basslauf völlig unterscheidet, was wirklich nicht einfach ist. So hatte ich mir das vorgestellt. ‘Flying’ ist auch ein neuer Song, den ich mit diesen hohen Noten und dem Groove unbedingt mit ihr aufnehmen wollte.“
Mit dem jungen Ausnahmeschlagzeuger Marcus Gilmore widmet sich Loueke der Interpretation von Wayne Shorters „Nefertiti“. Gilmore, der Enkel des legendären Jazzers Roy Haynes, spielt in den Bands von Gonzalo Rubalcaba und Vijay Iyer, wobei er auf dem besten Weg ist, selbst ein Leader zu werden. „Ich hatte Marcus spielen sehen und war ganz angetan von dem Sound und dem Gefühl, das er für sein Instrument entwickelt hat. Man hört ihn plötzlich überall und das hat seinen guten Grund – er ist für seine jungen Jahre eben schon unglaublich reif. ‘Nefertiti’ ist das Ergebnis unseres ersten Zusammenspiels im Studio. Es ist der erste Take, den man hier hört. Als wir fertig waren, sagte ich, ‘Ok, das war’s, wir können nach Hause gehen. Was soll man auch noch groß tun, wenn einfach alles passt!“
Die drei mit seinem Trio aufgenommenen Stücke auf „Mwaliko“ demonstrieren jene „kapriziösen Bewegungen und schlangenhaften Grooves“, die Nate Chinen von der New York Times auch bei einem der jüngsten Auftritte dieses Dreigestirns bewunderte, wobei er betonte, dass ihre Musik von „wachsender Intimität und hohem Anspruch“ geprägt sei. Louekes „Griot“ etwa ist ein Musterbeispiel seines harmonietrunkenen Gesangs und pendelt locker zwischen Afropop, Brazil-Jazz und treibendem Swing.
Dass Loueke auch zwei Stücke seiner Bandkollegen berücksichtigt hat, spricht natürlich Bände. Biolcatis temperamentvolles „Shazoo“ spricht für die Kompositionskunst des Bassisten, die er 2008 auf „Persona“, seinem Debüt als Leader, demonstrierte (bei dem Loueke natürlich mit von der Partie war). Nemeths „L.L.“, unverkennbar Loueke gewidmet, erschien erstmals 2007 auf „Night Songs“, dem Debüt des Schlagzeugers – ebenfalls mit Loueke an Bord. Hier zeigt Loueke sein Können mit einer raffinierten Bassoktave, ein Effekt, den er auf „Mwaliko“ einige Male einsetzt.
Seine ersten musikalischen Ambitionen im Bereich des Jazz entwickelte Lionel Loueke bereits in Benin. Dann schrieb er sich am National Institute of Art an der Elfenbeinküste ein, um dort Jazz zu studieren. 1994 verließ er Afrika und setzte seine Jazzstudien an der American School of Modern Music in Paris fort. Ein Stipendium fürs Berklee College of Music führte ihn schließlich in die USA, wo er Massimo Biolcati und Ferenc Nemeth kennenlernte. Durch Jamsessions entwickelten die drei Musiker enge Beziehungen. Biolcati ist italienischer Abstammung, wuchs aber in Schweden auf, während Nemeth in Ungarn aufwuchs. Beide hatten ausgiebig afrikanische Musik studiert und waren auf Loueke aufmerksam geworden, als dieser begann, seine Jazztechniken mit seinen afrikanischen Wurzeln zu fusionieren.
Nach seinem Berklee-Abschluss wurde Loueke – gemeinsam mit Biolcati und Nemeth – am Thelonious Monk Institute of Jazz in Los Angeles angenommen und studierte dort unter der Ägide seiner großen Mentoren: Herbie Hancock, Wayne Shorter und Terence Blanchard. „Ich war hin und weg“, erinnert sich Hancock an den Moment, als er erstmals eine Bandaufnahme von Loueke hörte. „Ich hatte noch nie einen Gitarristen, dem ein guter Ruf vorausgeeilt war, auch so überzeugend spielen hören. Kein musikalisches Terrain schien hier tabu zu sein. Er schreckte vor nichts zurück!“
Schon bald nach seiner Zeit am Monk Institute konzentrierte sich Loueke ganz auf seine nylonsaitenbezogene Akustikgitarre, auf der er eine ganz eigenwillige Handschrift entwickelte. „Ich fühle mich mit der Wärme, die man mit Nylonsaiten erzeugen kann, eng verbunden, auch wenn der Sound nicht immer vollkommen akustisch klingt“, befindet der Gitarrist. Tatsächlich scheint Louekes Gitarrensound nicht rein akustisch, aber strahlt doch eine Unmittelbarkeit, Zärtlichkeit und Leidenschaft aus, die ihn zu einem der einflussreichsten Instrumentalisten auf der Weltbühne des Jazz machen – wenn nicht sogar weit darüber hinaus.
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