Hassan Annouri – Album „International“

Er ist der Sound- und Rhythmusmeister hinter Tracks und Songs von Cassandra Steen, Afrob, Sido & Harris, Joy Denalane und veredelte mit seinem unnachahmlichen Taktungsgefühl Beats von Dr. Dre und DJ Tomekk. Mit seinem Debütalbum INTERNATIONAL konzentriert sich Hassan Annouri jetzt verstärkt auf seine eigene Karriere als Songschreiber, Rapper, Sänger und ausgewiesener Internationalist.

Hassan Annouri International
Hassan Annouri International

Wer wäre schon so größenwahnsinnig, einem Album einen Namen von epischen Ausmaßen zu geben, ohne es mit ebensolchem Inhalt ausstaffieren zu können? Hassan Annouri kann, denn er ist Melodien- und Beatbesessener, Produzent, Mischpultheld, marokkanischer Sohn Frankfurts mit internationalem Freundeskreis und aufmerksamer Lebenslinienbetrachter.

Wenn er zu Stift und Papier greift, um seine Beobachtungen der Eigen-, wie der Außenwelt wort-gewaltig in Songform zu bringen, haben die entstehenden Kreationen einen Mehrwert. Der 34-jährige unterhält zwar bestens mit seinen Songs, aber Tiefe und Anspruch sind für ihn eben­so essenziell wie Vergnügen und Zerstreuung. So vielfältig wie das Leben selbst lässt er Beats aus den Lautsprechern donnern, skizziert darüber in klarer, unverschnörkelter Sprache das Wechselspiel zwischen Licht- und Schattenseiten des Seins und verfeinert sie mit wohldosierten, geschmackvoll gestalteten Refrains und Melodiebögen.

Hier ist klar ein Könner am Werk, der sich eines Ideenreichtums bedienen kann, dem nur zu Eigen wer ein leidenschaftli­cher Grenzgänger zwischen den Kulturen ist. Der Albumtitel INTERNATIONAL ist weder Prophezeiung noch Wunschgedanke sondern für Hassan Annouri schlicht gelebte Realität. Dieser Realität verleiht er gleich im Intro der Platte Gewicht, wenn in unzähligen Sprachen auf den baldigen Beginn eines Werks hingewiesen wird, das in 18 Songs Zeugnis von Hassan Annouris ´Verwandlung´ vom Mann hinter den Kulissen zum charismatischen Bühnenakteur ablegt.

Hassan Annouri
Hassan Annouri

MIR GEHT’S WIEDER GUT zeigt den HipHop-Pionier als Mann im Aufbruch, der von seiner mitunter unrühmlichen Vergangenheit in der klassischen Ausländersiedlung Frankfurt-Gries­heim berichtet und diese Phase seines Lebens mit der positiven Zeile „Ich bin nicht mehr der, der ich war“ reflektiert.

Allen HipHop-Polizisten wirft er über einem Ohrwurmrefrain ein souve­ränes „Mich zu dissen macht keinen Sinn, Junge, denn dir fehlt der Beat“ zu. Hochmut ist das nicht, sondern vielmehr realistische Spiegelung seines eigenen Könnens. Das zeigt in Sachen Lyrik fraglos TEUFELSKREIS, in dem Hassan Annouri erneut autobiografische Erlebnisse mit Beobachtungen vermischt und ein kraftvolles Testament der Ideale liefert, denen jeder gerne folgen würde, die aber nur mittels Durchbrechens des alltäglichen Teufelskreises in greifbare Nähe rücken.

Wer würde nicht gerne sein Verhältnis zu Geld, Sex, Macht, Frauen, den Eltern und zur eigenen Spiritualität verbessern, wenn einem die Zeit dazu zur Verfügung stünde? Gier nach Macht schafft Vertrauensverlust, den es umzukehren gilt, lautet die Botschaft. Cassandra Steen sorgt kraft ihrer Stimme und Dank Hassan Annouris Melodienverständnis in WAHRHEIT nicht nur beim Zuhörer für pures Gänsehautgefühl.

Auch der Protagonist selbst lässt durchblicken, dass ihn der Song emotional kickt. Weil er darin über seinen ermordeten Bruder spricht und weil er den Hass zu den Idioten zurück schickt, denen ein Feindbild immer noch zur Stärkung des vermeintlichen Selbstbewussteins dient. Erinnert sich noch jemand an den geflügelten Begriff der „Achse des Bösen“? Hassan Annouri macht die Grenze zwischen dem vermeintlich Guten und dem angeblich Bösen mit der einzigen Urkraft wett, die letztlich aussöhnen kann, nämlich mit der Einforderung von Liebe. REVANCHE mit Features von Afrob und She Raw stellt über einem pulsierenden Dancehall-Beat in bester Abfeiermanier unmiss­verständlich klar, dass es sich durchaus gelohnt hat auf die Trio-Premiere der drei Reimkünstler zu warten.

Eine konkrete Person diente zur Vorlage für GUTES MÄDCHEN, den Song, dessen projizierte emotionale Intensität ziemlich sicher nicht nur die angesprochene Person selbst packt und mitreißt. BRING MICH BITTE HEIM ist das Manifest einer Persönlichkeit, die ihre Sensibilität den vielen Irrungen und Wirrungen des Lebens gegenüberstellt. Ob es sich bei der Person um Hassan Annouri selbst handelt bleibt ungeklärt.

TANZ FÜR MICH zeigt mit live eingespielter Percussion die coole Taktungsvielfalt des Deutsch-Marokkaners. Orientalische Beats machen die Clubvariante von 1001 Nacht mit ihrem Aufruf zum rhythmischen Klatschen zur definitiven Dancefloor-Nummer, die sich auch bestens zur Beschallung der allseits beliebten Shisha-Bars eignet. HOFFNUNG sagt bereits im Titel aus, dass es sich dabei um einen waschechten Soul­song handelt, dem She Raw ihren individuellen Gesangsstempel im wunderschönen Refrain aufdrückt. Das Sample aus dem Film „Catch Me If You Can“ bringt Hassan Annouris Leben als Kämpfer auf den Punkt, der mit seinen Songs Mut machen und Hoffnung verbreiten will. SO COOL WIE ICH ist kein branchenüblicher Song eines Posers, sondern ein Liebelied, das den scheinbaren Verlierer letztlich als Gewinner zeigt. Das Sample aus dem Film „Untreu“ unterstreicht dabei die Ambivalenz der großen Liebe, wenn sie in Gleichgültigkeit umschlägt. Vom Vergessen der eigenen Kultur handelt ALLES VERGESSEN mit seinem arabischen Refrain und skizziert mit seinen Features von Valezka und dem marokkanischen Superstar Bouchnak die Identitätskrise der vielen Immigranten in diesem Land.

KOPF ODER ZAHL ist mit seinem Feature von Eko Fresh eine Reminiszenz an Hassan Annouris Gemeinschafts­gefühl in seiner Zeit als Jugendlicher in Frankfurt-Griesheim. Mit Dean Dawson und Blaze wird TRAURIGE LIEDER zur Deklaration des Glaubens an eine bessere Zukunft, weil das Schreiben und die Reflexionen trauriger Lieder therapeutischen Wert haben können.

IMMER WENN ICH… greift die drei Grundpfeiler Glaube, Liebe, Hoffnung erneut auf und versieht sie diesmal mit Erinnerungen aus dem Leben des Frankfurters, das keinen Platz für Resigna­tion bot. Curse, Cassandra Steen, Dean Dawson, der Frankfurter Künstler R.A.F. und Jeyz machen LIZENZ gleichzeitig zum Feature-Happening und zur pluralistischen Spiegelung des Albumtitels. BOCK AUF’N BEAT mit Sido und Harris huldigt als HipHop-Clubversion des Techno-Klassikers „Electrica Salsa“ DJ Sven Väth und die Clubkultur Frankfurts, die damals, Anfang der Neunzigerjahre, in der Mainmetropole florierte.

Gleichzeitig ist der elektrisiert zuckende Track aber auch Aushängeschild für das neu aufgeschlagene Kapitel moderner Clubkultur, rough und funky. WIR LIEBEN UNSEREN GLAUBEN beschließt „International“ mit einem Live-Arrangement und der Zeile „früher war ich ein krasser Gangster, heute bin ich lieber brav“ versöhnlich. Lust auf die kommenden Live-Präsentationen von „International“ macht es obendrein, weil Hassan Annouri auf der Bühne ausschließlich mit Band zu erleben sein wird.

INTERNATIONAL beweist, dass HipHop, Soul und Pop aus Deutschland mindestens so frisch, außergewöhnlich und interessant klingt wie amerikanischer und englischer. Denn deutsch ist INTERNATIONAL gleich im doppeldeutigen Sinne des Wortes; zum einen weil es sich aus dem hiesigen Umfeld Hassan Annouris inhaltlich speist und Tiefgang besitzt; zum anderen weil es das Signal setzt, dass moderne, urbane Mu­sikformen längst nicht mehr in ihren Mütterländern produziert werden müssen, um international auf offene Ohren stoßen zu können. Die Zukunft des HipHop „Made in Germany“ hat gerade erst begonnen, dank INTERNATIONAL.