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Jesus on Extasy „No Gods“

„Festzustellen, dass man eigentlich gar kein Rockstar ist, war ziemlich desillusionierend“, beginnt Dorian Deveraux seine Moral aus der Geschicht’ des Senkrechtstartens.

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Jesus On Extasy - Album 'No Gods'

Während um ihn herum Europas Kulturhauptstadt floriert herrschte lange Zeit Endzeitstimmung bei Jesus On Extasy.

Eine Band, die so einen Namen wählt, kennt keine Götter: Sangen die Industrial Rocker auf dem Erstling noch von biblischer Schönheit, lernten sie ein Testament später, ihre Feinde zu lieben.

Doch was ist, wenn man plötzlich selbst sein größter Widersacher ist und sich der glorreiche Heiligenschein um einen herum als scheinheilig entpuppt?

Diese Frage beantworten Jesus On Extasy auf ihrem dritten Album „No Gods“ nicht nur, sondern durchleben sie.

„Synthesizer eignen sich zum Zerschmettern ebenso gut wie Gitarren. Vielleicht sogar noch besser.“

Die Achterbahnkarriere von Jesus On Extasy hat ihre Narben beim Sänger hinterlassen, der es sich 2005 zusammen mit Co-Gründer Chai Deveraux zur Mission macht Leid & Liebe in digitale Rocksongs zu packen. Dabei kreuzen die Brüder im Geiste nicht einfach nur Synthesizer und Stromgitarren, zu viele Industrial Rocker haben bereits über die Jahrzehnte stumpf Staccato-Riffs über Retro-Drummachines gezerrt.

JOE hingegen expandieren die Genre-Palette mit der Erkenntnis, dass Zerrissenheit, Herzschmerz und Ohrwürmer im synthetischen Rock nicht ausgeklammert werden müssen – eine Portion Glamour schadet schließlich nie. „Man hat unglaublich viele Soundmöglichkeiten, wenn man beide Instrumentalwelten vereint“, beschreibt Produzentengenius Chai die hybride Herangehensweise der modernen Ruhr-Rocker.

„Mit dieser Kombination kann man viel Tiefe erzeugen, ohne das Rockfeeling zu killen.“ Soundfetischismus alleine kickt Rampensau Dorian nämlich nicht: „Außerdem eignen sich Synthesizer zum Zerschmettern ebenso gut wie Gitarren. Vielleicht sogar noch besser.“

Do it yourself als Devise

Jesus On Extasy Bandfoto
Jesus On Extasy

„Selbst ist der Mann“ macht das Duo zu seinem Motto und entert mit viraler Guerilla-Promotion die Online-Bühne zu einer Zeit als MySpace hier noch in den Kindesschuhen steckt.

Fans von KMFDM & Co ernennen JOE rasch zum Kult und die selbsternannten Väter des Industrial Rock höchstpersönlich zeigen ihre Begeisterung für die ersten Demos der Deveraux Inc. mit einem Remix des Smashers „Assassinate Me“, obwohl die Alteisen für labellose Newcomer sonst keinen Finger krümmen.

Der Geheimtipp katapultiert sich 2006 eigenhändig ins Vorprogramm von LÂme Imortelle, ihren Durchbruch feiern Jesus on Extasy jedoch Monate zuvor beim Bochum Total Festival, wo sie in einem echten Kaltstart mit weniger als 24 h Vorlauf die spontan abgesprungenen Zombie Joe im Abendprogramm vertreten.

Vor eindrucksvoller Kulisse zieht die Deveraux-Connection (damals noch mit Basserin Ivy) ein Tausenderpublikum in seinen Bann. Auch die Führungsetage von Drakkar Entertainment war Zeuge dieses Spektakels und konnte den synthetischen Womanizern nicht widerstehen. Getreu der Überschrift ihrer verführerischen Albumpremiere „Holy Beauty“ posieren Dorian und Chai im Frühling 2007 gemeinsam mit der rekrutierten Gitarristin Alicia Vayne (Ex-Pain) und Key-Queen Ophelia Dax, mittlerweile auch Solo als Leandra unterwegs, auf den Covern der Musikmagazine, die auch 2008 vom Nachfolger „Beloved Enemy“ nicht genug haben können.

Wir sind Helden?

Nachdem Jesus On Extasy die Bühne mit anderen Antichrist Superstars wie Marilyn Manson, Project Pitchfork, Tool oder Skinny Puppy teilten, sowohl das M’Era Luna Festival verzauberten, als auch vor vollem Haus in der Oberhausener Königs-Pilsener-Arena performten „ist die Gefahr des Abhebens sehr groß“, gesteht Dorian heute.

„Man führt sich auf wie ein riesiger Rockstar und wird vergöttert. Doch Irrtum: Wir sind keine Helden!“ Die Digital Dandies sind nach ihrem Höhenrausch wieder fest mit beiden Beinen auf dem Boden gelandet und teilen der Gemeinde dies im Titeltrack ihres dritten Albums „No Gods“ auch mit. „Don’t wait for me, ’cause I can’t show you heaven“, bittet der Beau im Refrain.

„Richtige Rockstars gab es in den 70ern und 80ern, das waren echte Götter. Heute werden zwar viele als solche verehrt oder gecastet, doch sind es nicht.“ Einem seiner persönlichen Jugendidole zollt Dorian in „Movie Star“ Tribut: „’Lost Boys’-Darsteller Corey Haim starb dieses Jahr. Sein Schicksal nahm mich sehr mit. Der Ruhm zernagte ihn förmlich.“ „He’s dead but no one cares“, wie schnell der Glanz im Showgeschäft abblättern kann, lehrte ihn dieses Beispiel.

Eine Achterbahn mit Folgen

Wenn man auf einmal ein Leben auf der Überholspur fährt „brennen gut und gerne einmal die Sicherungen durch“, beschreibt das Rockstar Model den intensiven Bandalltag. „Die Zeit nach ‚Beloved Enemy’ war sicher nicht die leichteste für uns.“ Differenzen, unterschiedliche Zielsetzungen – die Stimmung kippte und fand mit Alicia Vayne auch ein personelles Opfer, Schlagzeuger BJ wechselte an den Bass.

„No Gods“ stand zunächst unter keinem guten Stern: „Nach all den internen Reibereien dachten wir daran, einen Schlussstrich mit einem letzten Album zu ziehen. Doch mitten im Recording-Prozess merkte man, dass all die Dissonanzen nur noch mehr Kraft in die Songs des Projektes brachten, das uns allen so am Herzen liegt. Diese Energie wollten wir unbedingt bündeln.“ In der gemeinsamen kreativen Arbeit fand die Gruppe wieder zueinander und „kam gestärkt aus der Krise heraus“, so Dorians Fazit. Ein Schlüsselmoment im Proberaum brachte die Wende: „Alle Fronten waren bereits zerrüttet, doch bei einer halbstündigen Jam Session über ein simples Bluesriff spürten plötzlich alle, dass die Magie wieder da war, ohne irgendjemand ein Wort gesagt hatte.“

Der folgende Auftritt beim Blackfield Festival glättete die Wogen endgültig. Gemeinsam brennen Jesus On Extasy wieder, an ein Ende will jetzt niemand mehr denken – im Gegenteil: Demnächst wird das Quintett das Geheimnis über eine gemeinsame Deutschlandtournee mit einem der Chartbreaker dieses Jahres lüften und sich voll auf den Release von „No Gods“ (27.08. 2010) fokussieren.

Dampf ablassen

Sound-Guru Tim Schuldt sollte die Energiefelder in die richtigen Bahnen lenken, „der richtige Mann, zum richtigen Zeitpunkt“, spürt der Sänger mit dem Doppel-D. „Härter, rockiger sollte es klingen. Stahl, Schweiß und Muskeln zeigen, wie man im Ruhrgebiet so schön sagt.“

Auch das dynamische Drumming des neuen Schlagzeuges Dino rückte in der Vordergrund, bereits der Opener „Revenge“ stellt so manchen US-Industrial-Rocker in den Schatten. JOEs typisch romantischer Tanz auf der Rasierklinge ist deshalb längst nicht passé: In bewährter Tradition schließt die LP mit der nachdenklichen Ballade „Tonight“ ab , die die Komplexität der eigenen Klangkosmen resümierend auf den Punkt bringt.

Obwohl „Transitoriness“ das Älterwerden thematisiert, erfüllte sich Dorian beim Covershoot zu „No Gods“ einen alten Kindheitstraum: Art-Designer Grace Khold verwandelte Jesus On Extasy in düstere Super-Antihelden und erzählt die Geschichte der CD in einem lebendigen Cyber-Comic.

In „Riot“ lassen die Deverauxs den Dampf der vergangenen Leidenszeit ab und sagen falschen Heldensagen den Kampf an. Dass Leben selbst in die Hand zu nehmen und zur Not den Aufstand proben, lautet die neue Devise. „Die wahren Helden sind diejenigen, die sich von niemandem blenden lassen und beispielsweise gegen die aktuelle Ölpest am Golf von Mexiko wehren. Die Zentrale von BP hätte längst in Brand gesetzt werden müssen.“ JOE rollen schon mal das Pulverfass vor. Hast du mal Feuer?

Jesus on Extasy:

Dorian Deveraux: Vocal X-tasy, Synths, Samples
Chai Deveraux: 6- String X-tasy, Backing Vox, Synths, Programming
Ophelia Dax: synthetic X-tasy
Dino: ultra-heavy beatz
BJ: bass